Lafnetscha: Der autochthone Urwalliser.

2020 könnte das Jahr des Schweizer Weines werden – wegen der Corona-Krise. Die ungewöhnlichen Zeiten fördern den Patriotismus. Touristiker propagieren Ferien im eigenen Land. Auch sollen vermehrt einheimische, regionale Produzenten – vom Gemüsebauern bis zum Winzer – berücksichtigt werden, um ihr Überleben zu sichern.
Auch die Schweizer Weinproduzenten stehen unter Druck. Die Gastronomie ist zeitweise als Absatzkanal völlig weggebrochen und heute noch vorsichtig mit Bestellungen. Private Konsumenten können den Ausfall nur teilweise kompensieren. Es ist daher ein Gebot der Stunde, einheimische Weine zu geniessen. Das kann man mit sehr gutem Gewissen tun, denn was hierzulande erzeugt wird, verdient Respekt und Anerkennung.

Gut aufgestellt ist das Wallis, das mit seinen Spezialitäten und authochthonen Sorten am Puls der Zeit ist. Sein grösster Trumpf ist die vielfältige Palette verschiedener Böden, Lagen und Kleinklimazonen, im Jargon gerne «Terroir» genannt. Das sind ideale Voraussetzungen, da- mit sich zahlreiche Rebsorten wohlfühlen und sich optimal entfalten können. Über 50 unterschiedliche Varietäten werden im Wallis kultiviert. Allerdings hatte es eine Zeit gegeben, als alte einheimische Sorten wie Petite Arvine, Amigne, Resi, Cornalin und Humagne rouge durch damals zeitgemässere Beispiele wie Chardonnay oder Merlot ersetzt wurden. Dank dem unermüdlichen Einsatz traditionsverbundener Produzenten konnten indessen die meisten alten Sorten gerettet werden.

Glücklicherweise, denn heute erkennt man diesen Schatz als Markenzeichen und Alleinstellungsmerkmal in einem zunehmend härter umkämpften und globalisierten Markt. Tatsächlich erfreuen sich autochthone Sorten einer zunehmenden Nachfrage. Im Wallis sind neben den inzwischen doch bekannten Namen wie Petite Arvine (im Hause Mathier: Aphrodine) und Heida auch absolute Exoten zu finden. Haben Sie schon ein- mal von Lafnetscha gehört? Die weisse Sorte ist lediglich reliktisch vorhanden und weltweit einmalig im Oberwallis angesiedelt. Der echte Urwalliser wurde gemäss dem Buch «Wine Grapes» der britischen Master of Wine Jancis Robinson bereits im Jahre 1627 erstmals erwähnt. Gemäss DNA-Analysen handelt es sich dabei um eine natürliche Kreuzung zwischen Completer und Humagne blanche.

Der Name der sehr alten Sorte ist vom Oberwalliser Dialektausdruck «Laff nit scha» abgeleitet, was so viel wie «trink ihn nicht bereits» bedeutet. Will heissen: Der Wein sollte nicht zu jung getrunken werden, weil er wegen seines beachtlichen Gehalts an natürlicher Säure einen längeren Ausbau benötigt. Lafnetscha hat für den Winzer einige weitere beachtliche Vorteile: Er besitzt neben der Frische eine vielschichtige Aromatik und ergibt einen stabilen Wein mit einem guten Trinkfluss. Dem stehen als Nachteile der unaussprechliche Name und die Tatsache gegenüber, dass eigentlich kein Konsument das Gewächs kennt.

Das hindert Albert Mathier & Söhne in Salgesch nicht, auf diesen Exoten als Nischenprodukt zu setzen. Seit rund zehn Jahren wird mit Lafnetscha experimentiert.

2018 wurde der Wein aus dem gleichen Rebberg in drei verschiedenen Behältern ausgebaut: Stahltank, Barrique und Amphore (siehe Interview unten). 2019 produzierte Mathier einen weiteren Jahrgang, der exklusiv in Mag- nums abgefüllt wird. Das Resultat ist überaus vielversprechend, wie eine Degustation der weissen Spezialität bewiesen hat. Der Lafnetscha präsentiert sich mit einem mittleren Gelb und enthüllt in der Nase einen vielschichtigen Duft von fruchtigen Noten (Apfel, Bergamotte) und Lindenblüten. Was den konsequent trocken ausgebauten, mittelschweren, komplexen Wein besonders auszeichnet, ist seine perfekte Säurestruktur. Das ergibt einen tollen Trinkfluss und eine schöne Länge mit mineralischen Akzenten. Das Reifepotenzial ist schwierig abzuschätzen, aber acht, zehn Jahre sollten für den Tropfen aus dieser eigenwilligen und stark wüchsigen Sorte problemlos drin liegen. Er lässt sich ebenso eigen- willig kombinieren, etwa mit Käse- und Zwiebelkuchen oder Krustentieren.

Der Weinfamilie Albert Mathier & Söhne schwebt vor, den Wein als eigenen «Charakterdarsteller» in seinem Sortiment zu positionieren. Es ist bestimmt eine grössere Herausforderung, ein solches Gewächs zu keltern und zu vermarkten als einen 08/15-Chardonnay oder einen mehrheitsfähigen Weissen mit Süssreserve. Wenn man ausgetretene Pfade verlässt, bestehen indessen auch bessere Profilierungsmöglichkeiten. Sofern das Resultat im Glas stimmt. Bei der Premiere des Lafnetscha 2019 ist dies zweifellos der Fall.

Peter Keller ist Weinredaktor der NZZ am Sonntag und führt regelmässig Weinseminare für die Leser durch. Zudem arbeitet der Weinakademiker für den Coop-Weinclub Mondovino, wo er für das Raritäten-Sortiment aussergewöhnliche Trouvaillen selektioniert.