Weine aus mehreren Sorten: die Kunst der Vermählung

Welches sind die grösseren Weine? Jene aus einer einzigen Rebsorte oder jene aus einem Verschnitt von zwei oder noch mehr Varietäten? Die Frage kann ich wohl nicht abschliessend beantworten respektive klären, wie das Beispiel der beiden bekanntesten Rotweine Frankreichs, Burgunder und Bordeaux, exemplarisch zeigt. Ein Burgunder ist stets reinsortig. Er besteht aus Pinot noir, jener Traube, die das Anbaugebiet um die Côte d’Or weltberühmt gemacht hat. Heute sind die besten Weine aus den Grand-Cru-Lagen einerseits rar – und andererseits so teuer, dass sich diese nur noch Millionäre leisten können. Ein Bordeaux dagegen enthält in der Regel mehrere Sorten, vornehmlich Cabernet Sauvignon und Merlot, kombiniert mit kleinen Anteilen von Cabernet Franc, Petit Verdot und vereinzelt Malbec. Auch solche Cuvées kosten ein halbes Vermögen, wobei es im Bordeaux einfacher ist, gute Beispiele zu vernünftigen Preisen zu finden als im Burgund. Welchen dieser beiden Weine man schliesslich bevorzugt, hängt mit der persönlichen Vorliebe zusammen.

Doch wann wählen Winzer und Winzerinnen die eine oder andere Option? Es hat vor allem mit der Tradition im jeweiligen Anbaugebiet zu tun. So darf beispielsweise ein Châteauneuf-du-Pape aus dem südlichen Vallée du Rhône aus bis zu 13 Rebsorten bestehen. Auch im portugiesischen Douro-Tal schwört man auf die Kunst der Vermählung, zumal die Appellation eine wahre Fundgrube für unzählige, zum Teil wenig bekannte, einheimische Varietäten ist. Das Ziel der Assemblage besteht stets darin, dass der verschnittene Wein besser schmeckt als jede Partie für sich. Die Winzer wollen eine Harmonie aller Elemente wie Aromen, Tannine, Säure, Alkohol und auch Farbe erreichen. Die Wahl hängt aber auch damit zusammen, dass nicht alle Sorten gleichzeitig zur Lese bereit sind. Der Merlot reift, um beim Beispiel im Bordeaux zu bleiben, früher aus als der Cabernet Sauvignon. Mit einer Cuvée können somit Witterungseinflüsse ausgeglichen werden. Reift eine Sorte nicht optimal aus, oder ist der Ertrag (zu) gering, kann mit einer anderen entsprechend korrigiert und ausgeglichen werden.

Burgund ist nicht das einzige Anbaugebiet, das reinsortigen Weinen – neben Pinot noir ist hier bei den Weissen der Chardonnay zu Hause – zugetan ist. Die berühmten Barolo- und Barbaresco-Gewächse aus dem Piemont werden aus dem edlen Nebbiolo gekeltert. Der Stolz der kalifornischen Produzenten ist der reinsortige Cabernet Sauvignon, jener der australischen der reinsortige Syrah respektive Shiraz, wie die Sorte in Down Under genannt wird. Mit Weinen, die dergestalt gekeltert werden, wird der Charakter einer Traube und seiner jahrgangstypischen Herkunft besonders hervorgehoben. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Jahren sind denn auch entsprechend grösser als bei einer Mariage von mehreren Sorten.

Auch in der Schweiz findet man selbstverständlich beide Varianten. Gerade im Wallis sind die «Gestaltungsmöglichkeiten» überaus vielfältig, denn im grössten Anbaugebiet der Schweiz werden über 50 Rebsorten kultiviert. Nicht zuletzt dank dieser Auswahl wird meiner Meinung nach eine Reihe von faszinierenden und spannungsreichen Cuvées gekeltert. Zu diesem Kreis zählt auch der Salconio von Albert Mathier, der quasi eine Hommage an Salgesch ist. So hatte nämlich das Dorf im 11. Jahrhundert geheissen. Der Rotwein ist stets eine Assemblage aus mehreren Sorten. So wurde im Jahr 2021 der im Stahltank ausgebaute Cru aus Diolinoir, Merlot, Syrah und Ancellotta komponiert. Namentlich letztere ist

eine perfekte Teamplayerin, denn im Verbund mit anderen Trauben sorgt sie für mehr Farbe, zusätzliche Struktur und Power. Dementsprechend präsentiert sich der sehr gut gelungene Salconio: Im Glas fällt die tiefe, fast purpurne Farbe auf. In der Nase enthüllen sich schöne Aromen von dunklen Beeren, leicht würzigen Noten und Veilchen. Der fruchtbetonte Wein ist mittelschwer, elegant, gut strukturiert und balanciert – eine schöne Vermählung der vier höchst unterschiedlichen Trauben.

Im Wein liegt die Wahrheit, heisst ein geflügeltes Wort. Das stimmt. Allerdings gibt es keine endgültige Wahrheit zur Frage bezüglich reinsortiger Tropfen oder Cuvées. So oder so sollte der Wein exzellent schmecken – so wie es beim Salconio 2021 der Fall ist.

Peter Keller ist Weinredaktor der NZZ am Sonntag und führt regelmässig Weinseminare für die Leser durch. Zudem arbeitet der Weinakademiker für den Coop-Weinclub Mondovino, wo er für das Raritäten-Sortiment aussergewöhnliche Trouvaillen selektioniert.