Amphore blanc: in vino qvevritas

Moden kommen und gehen – auch im Weinbau. Biologisch oder biologisch-dynamisch erzeugte Gewächse stehen derzeit hoch im Kurs. Es wird nicht nur im Rebberg auf allerlei Chemie verzichtet. Man versucht auch im Keller, möglichst wenige Hilfsmittel, beispielsweise Schwefel, einzusetzen und in der Vinifikation so wenig wie möglich zu intervenieren. Doch einigen Winzern und Winzerinnen genügt diese Art der Herstellung noch immer nicht. Sie gehen einen Schritt weiter und überlassen den Wein mehr oder weniger sich selbst. Der Naturwein ist (wieder)geboren – wenngleich es dafür keine gesetzliche Definition gibt.

In seiner radikalsten Form findet der Naturwein-Prozess in bauchigen Ton-Amphoren statt, in sogenannten Qvevris. In Vino Qvevritas statt in Vino Veritas: Die Wahrheit liegt nicht nur im Wein, sondern auch in diesen uralten Behältern. Sie stammen ursprünglich aus Georgien, wo angeblich der Wein erfunden wurde. Bei der Herstellung geschieht nicht viel: Die Trauben werden gepresst. Most und Trester kommen in vergrabene Amphoren, die während der rund zweiwöchigen Gärung offenbleiben. Nachher verschliesst man den Behälter. Im Frühling holt der Winzer in der Regel die ersten Weine aus der Amphore. Während der Weinwerdung unter der Erde haben sich die Sedimente am Boden abgesetzt. Man füllt dann den Wein, mehr oder weniger klar, in Flaschen ab. Bei weissen Beispielen wird von Orange Wine gesprochen.

Es mag freilich nicht erstaunen, dass Amphorenweine polarisieren. Sie haben nichts gemeinsam mit herkömmlich produzierten Gewächsen. Geruch und Geschmack sind fremd und gewöhnungsbedürftig. Fruchtbetonte Beispiele sucht man vergebens. Vielmehr sind die Weine beeindruckend anders: geradliniger, archaischer, spannungsreicher, lebendiger, mit einem neuartigen Aromenspektrum ausgestattet. Allerdings ist nicht alles Gold, was glänzt. Man findet auf dem Markt eine ziemlich hohe Anzahl an Gewächsen, die mikrobiologisch zweifelhaft erscheinen, durchoxidiert sind oder im Extremfall deutliche Fehltöne aufweisen. Da Wein in jedem Fall ein Genussmittel ist und bleibt, haben solche Crus dort eigentlich nichts zu suchen – egal wie ursprünglich und biologisch sie gekeltert werden. Zuverlässige Erzeuger indessen schaffen es, mit möglichst geringer Intervention im Rebberg und Keller eine andere, nicht alltägliche Art Wein zu bereiten, als wir sie gemeinhin trinken.

Einen anderen Zugang zum Wein will auch das Walliser Weinhaus Mathier ermöglichen. Es besitzt seit einigen Jahren eine Reihe von Qvevris in verschiedenen Grössen von 250 bis 2500 Liter. Der Produzent gilt hierzulande als Pionier für diesen Weinstil und ist überzeugt, dass der Ausbau in Amphoren eine wertvolle Bereicherung darstellt. Die Probe aufs Exempel: der Amphore® blanc 2017. Der Orange Wine ist ein Wein aus weissen Trauben mit einem verlängerten Maischekontakt während der Gärung. Das aus den einheimischen Rebsorten Ermitage und Rèze bestehende Gewächs bleibt ein Jahr in den Amphoren und lagert nachher für eine weitere Zeit von zwei Jahren in Doppel-Barriques. Schwefel wird nicht eingesetzt. Auf eine Filtration wird verzichtet.

Das Resultat im Glas ist ein eigenständiger, ungewöhnlicher Wein, der eine Annäherung lohnt. Schon die Farbe fällt auf: ein intensives Gelb, das in Richtung orange tendiert. Der Wein ist relativ klar und nur leicht trüb. In der Nase enthüllt sich ein vielschichtiger Duft mit Kräuter-würzigen Noten und dezenten Tee-Anklängen. Im Gaumen fallen beim jugendlich wirkenden Cru die überaus präsenten, aber gut eingebundenen Gerbstoffe auf. Der Amphore® blanc ist kräftig, komplex und mit einer reifen Säure ausgestattet, die den Wein bis zum langen Finale begleitet. Man setzt ihn am besten als Speisenbegleiter ein. Selbst gegenüber rotem Fleisch behauptet sich diese Walliser Spezialität, die über ein exzellentes Reifepotenzial von mehreren Jahren verfügt, problemlos.

Der Weinbau lebt von Innovationen. Amphorenweine gehören zweifellos in diese Kategorie. Sie sind gewiss eine Bereicherung sowohl für den verwöhnten als auch für den neugierigen Gaumen. Aber die Vergärung in Qvevris, wie sie bereits vor ein paar Tausend Jahren vor allem am Schwarzen Meer vollzogen wurde, ist eine extreme Art der Vinifikation. Und wohl auch eine Antwort darauf, dass in der Vergangenheit zu viel am Wein herummanipuliert worden ist, und zu viele technische Mittel im Keller eingesetzt worden sind. Runde, süssliche Tropfen vermögen zwar eine breite Käuferschicht anzusprechen, sind aber spätestens nach einem Glas langweilig. Da versprechen Weine mit Ecken und Kanten mehr Abwechslung und Genuss – wie beispielsweise der Amphore® blanc 2017

Peter Keller ist Weinredaktor der NZZ am Sonntag und führt regelmässig Weinseminare für die Leser durch. Zudem arbeitet der Weinakademiker für den Coop-Weinclub Mondovino, wo er für das Raritäten-Sortiment aussergewöhnliche Trouvaillen selektioniert.