Önologisch: War das ein Jahr!

Im Moment stehe ich im Rebberg der Domaine de Ravoire und schaue auf das schönste Ost-West-Tal der Welt. Strahlend blauer Himmel, reife Trauben, Friede, Freude, Rhoneblut.

Und dann zieht vor meinem geistigen Auge das vergangene Jahr vorbei. Ich schliesse es schnell wieder (das geistige Auge). Aber ein Moment ist mir geblieben: Als ich diesen Sommer mit meinem Sohn durch die Reben streifte, und sich all die wetterbedingten Unannehmlichkeiten am Rebstock manifestierten, meinte er kurz und trocken: «Vater, wie geht das weiter?» (Er brauchte martialischere Worte, die ich hier nicht wiedergeben möchte, aber er traf den Kern der Sache.)

Nun, im obenerwähnten Ost-West-Tal keltern wir wunderbar reife Trauben. Das schöne Wetter der letzten Monate hat Moral und Rebe erfreut. Der Ertrag ist klein, aber fein. Nach den Jahren 2019 und 2020, die mengen- und qualitätsmässig überzeugten und uns immer noch grosse Freude bereiten, ernten wir 2021 bedeutend weniger.

Zu Beginn des Jahres haben wir uns auf die Rebarbeiten gefreut. Und wie immer stellten wir uns Fragen. Wie wird der Austrieb? Wie wird die Blütezeit? Haben wir genug Wasser? Gibt es physiologische Probleme an der Rebe? Werden die Trauben gut reifen? Eine Rebsaison lang gab uns die Natur Antworten. Kurz: Ja, wir hatten genug Wasser und die Traubenreifung ist tipptopp vor sich gegangen. Wir haben unter für uns komplett unbekannten Wetterbedingungen Trauben gepflegt und im subtropischen Klima eine hervorragende Ernte erarbeitet.

Einmal mehr haben wir uns eine Saison lang um unsere «Rebkinder» gekümmert. In den letzten Jahren arbeiteten wir mit Walliser Rebstöcken, die uns immer wieder sagten: «Lasst uns in Ruhe, wir sind zufrieden und glücklich im Wallis, wir danken es euch mit hervorragenden Trauben.» Mit Freude übernahmen wir die Früchte und begleiteten sie bis zu Ihnen nach Hause. 2021 benötigten die Reben etwas mehr Unterstützung. Sie brauchten Obhut, viel Zuspruch und noch mehr Zuwendung. All das konnten wir unseren Rebstöcken im – auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen – schönsten Ost-West-Tal der Welt geben. Und sie haben es uns mit wenigen, aber dafür umso vorzüglicheren Trauben gedankt.

Zugegeben, im ersten Moment stimmte mich die Frage meines Sohnes nachdenklich. Umso mehr freute ich mich, ihm nach ein wenig Bedenkzeit antworten zu können: Es geht weiter.

Der 21er kommt. Ich sage jetzt schon: Santé!