Die Zukunft heisst Biodynamie

Die Industrialisierung der Landwirtschaft und der intensive Einsatz von Stickstoff-Düngern haben dazu geführt, dass die Pflanzen häufiger krank werden und weniger Vitalität zeigen. Rebberge, die mit chemischen Spritzmitteln behandelt werden (müssen), waren und sind von dieser Entwicklung nicht ausgeschlossen. Zunehmend mehr Winzer und Winzerinnen wollen indessen der ungesunden und schliesslich schädlichen Entwicklung entgegensteuern und sind auf den biologischen oder gar biodynamischen Anbau umgestiegen.

Namentlich die Biodynamie gewinnt in breiten Produzentenkreisen an Bedeutung. Die Weingüter suchen nämlich einen individuellen Zugang zu dieser Methode, die auf den Anthroposophen Rudolf Steiner zurückgeht. Wer sich auf diese Philosophie einlässt, setzt auf eine Mischung aus Kuhmist und geriebenem Quarzit, die in Kuhhörnern in der Erde vergraben wird, spritzt homöopathisch verdünnte Präparate und Teeaufgüsse statt synthetisch-chemische Pflanzenschutzmittel, schneidet die Reben und füllt die Weine nach den Mondphasen ab. Ein Winzer hat den biodynamischen Weinbau prägnant und gut nachvollziehbar umschrieben: Er sei die Kunst, den individuellen Standort charaktervoll im Wein abzubilden.

Viele lehnen die Philosophie als «Hokuspokus» ab, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehre. Doch darum geht es nicht. Die ganzheitlichen Ansätze der Biodynamie können vielmehr die naturwissenschaftliche Sichtweise ergänzen. Die Methode soll auch nicht in direkter Opposition zur konventionellen Wirtschaft stehen, sondern allenfalls Lösungen liefern, um die zunehmenden Umweltprobleme zu bekämpfen. Davon ist auch der Weinbau in den meisten Regionen betroffen. Die biodynamische Arbeitsweise stärkt die Widerstandskraft der Reben, verbessert die Bodenfruchtbarkeit und fördert in den Weingärten seltene Tier- und Pflanzenarten. Schliesslich zeichnen sich die auf diese Art und Weise erzeugten Weine, so wenigstens die Erkenntnis, die ich erfahren habe, durch mehr Spannung, mehr Komplexität und mehr Eigenständigkeit aus. Sie widerspiegeln perfekt ihre Herkunft.

Das trifft auch für den biologisch-dynamisch erzeugten und Demeter-zertifizierten Forestier 2019 des Weinguts Albert Mathier zu. Der Wein aus Pinot noir präsentiert sich mit überaus vielversprechenden Anlagen, wie eine Verkostung zeigt. Im Glas funkelt ein intensives Rubinrot. Der Tropfen enthüllt in der Nase schöne Noten von roten Früchten sowie dezent würzig-kräutigere Anklänge.

Im Gaumen des mittelschweren Crus fallen die Frische, Eleganz, gute Struktur sowie der langanhaltende Nachhall auf. Ich empfehle, den spannungsreichen, bewusst im Stahltank gereiften Forestier speziell zu Geflügelgerichten zu kredenzen. Aber auch vegetarische Speisen lassen sich damit gut kombinieren.

Die Trauben für diese Trouvaille stammen aus einem Rebberg im Naturpark Pfyn-Finges. Er befindet sich auf einer Höhe von 560 Metern über Meer und wird sorgfältig und handwerklich nach biodynamischen Methoden gehegt und gepflegt. Mit dieser Philosophie ist gewährleistet, dass die einzigartige Natur- und Kulturlandschaft in Salgesch erhalten bleibt. Hier werden neben Wein noch andere landwirtschaftliche Produkte erzeugt. Der Naturpark Pfyn-Finges ist aber auch ein Lebens- und Erlebnisraum, der zahlreiche Besucher und Besucherinnen anzieht. So lohnt es sich, die eine oder andere Wanderung unter die Füsse zu nehmen. Das Netz ist über 450 Kilometer lang – da ist sowohl für den Spaziergänger als auch den Langstreckenläufer etwas dabei.

Nach getaner Fitness schmeckt ein Glas Wein umso besser – erst recht, wenn er biologisch erzeugt wird. Ich bin überzeugt, dass solchen Gewächsen die Zukunft gehören wird. Heute bestehen viele Möglichkeiten, dass der Wein – ähnlich wie bei Bieren und Destillaten – manipuliert und behandelt wird. So kann man den edlen Rebensaft beispielsweise komplett in seine Einzelteile zerlegen und wieder so zusammenfügen, wie man ihn gerne haben möchte. Wer will das trinken, geschweige denn geniessen? Wein ist ein individuelles Getränk, das je nach Jahrgang und Lage anders schmeckt. Das macht ihn einzigartig und hebt ihn von anderen Produkten ab. Da leistet die Bio- und die Biodynamie-Produktion wertvolle Unterstützung. Viele stören sich am esoterischen Aspekt der Methode. Doch die Ziele lauten anders: Man will ein stabiles Gleichgewicht im Rebberg erhalten und möglichst gut schmeckende Weine erzeugen – so wie es im Naturpark Pfyn-Finges von Produzenten wie Albert Mathier vorgelebt wird.

Peter Keller ist Weinredaktor der NZZ am Sonntag und führt regelmässig Weinseminare für die Leser durch. Zudem arbeitet der Weinakademiker für den Coop-Weinclub Mondovino, wo er für das Raritäten-Sortiment aussergewöhnliche Trouvaillen selektioniert.